Alexander Kluge


Am Anfang unseres Jahrhunderts erschien ein Buch mit dem Titel ' Der Untergang des Abendlandes '.Der Autor, OSWALD SPENGLER, erregte damals Aufsehen durch seine pessimistische Deutung der Zukunft Europas. Das gleiche Aufsehen würde er heute auch erregen, denn Pessimismus hat an Attraktivität nichts verloren. Natürlich müsste er das Thema wechseln, um seinen Pessimismus zu entstauben. Zeitgemäß wäre ein Thema wie " Die Zerstörung des Abendlandes durch Bildplatte, Computer Grafik und Privatfernsehen ".

Der Pessimismus, der in den Beiträgen von KLUGE und PIPER steckt besteht nicht in der Frage, ob es Probleme und Gefahren überhaupt gibt, sondern in dem Weltbild und den daraus resultierenden Lösungsversuchen. Mit KLUGE und PIPER stimme ich darin überein, dass es diese Gefahren gibt. Was ich an beiden Autoren nicht akzeptiere, ist ihre Ablehnung der Gegenwart zugunsten einer Utopie, was besonders auf KLUGE zutrifft. Was ich weiterhin ablehne, ist ihre Diffamierung der Unterhaltung. Für KLUGE und PIPER ist Unterhaltung kein legitimes Bedürfnis, sondern eine Krankheit: Wer lacht, der ist dumm! - Nur, wer mit zerfurchter Stirn den möglichst ernsten Befürchtungen kritisch genug hinterherdenkt und Mißfallen an der Gegenwart zelebriert, kann den dumpf vor sich hin komsumierenden Massen den Weg ins gelobte Land weisen. So treffen sich in den Beiträgen von PIPER und KLUGE zwei Strömungen: Einmal die in den Industriestaaten kursierende Endzeitstimmung (Wettrüsten,Oberbevölkerung,Umweltschäden etc. )und das, was man getrost als ' deutsche Krankheit' bezeichnen kann: Entfremdung von der inneren und äußeren Wirklichkeit

Eine solche Position verteten NEIL POSTMAN und JERRY MANDER. KLUGE muß da als Filmemacher etwas differenzieren. Er unterscheidet zwischen Kino und den neuen Medien, wobei das Fernsehen zu den letzteren gezählt wird. Die gleichen Argumente, die POSTMAN und MANDER gegen die audiovisuellen Medien überhaupt erheben werden von KLUGE gegen das Fernsehen und die neuen Medien ins Feld geführt. Das Kino dagegen ist mehr als nur Zeitvernichtung vorausgesetzt es werden die von KLUGE als wertvoll eingestuften Filme gezeigt (TARKOWSKIJ, DREYER, etc.). Demnach wird dem Fernsehen Entfremdung als Wirkung auf den Zuschauer vorgeworfen.


Wie kommt diese Entfremdung zustande ?

Das Fernsehen baut eine Konstruktion der Wirklichkeit durch seine viselle Codes auf,die nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben. Da aber diese künstliche Welt durch die Ähnlichkeit zur realen Welt vom Zuschauer nicht mehr zu unterscheiden ist, tritt beim Zuschauer Verwirrung und schließlich Entfremdung ein. Durch die Identifikation mit dieser Zeichenwelt (durch Suspense) gerät der Zuschauer dann auch noch in eine Entfremdung von seiner eigenen Emotinalität

(Innere Wirklichkeit). Eine solche Vorstellung ist ziemlich dramatisch und geht unter anderem von der irrigen Voraussetzung auf, die elektronischen Medien seien allmächtig (Siehe B). Was ist nicht richtig an dieser Vorstellung? Jedes Medium ist gegenüber der Wirklichkeit eine Konstruktion auf einer Meta-Ebene. Insofern ist jedes Buch, wenn man die Maßstäbe KLUGEs anlegt, pure Entfremdung von der Wirklichkeit und nicht erst das Fernsehen. Das ist aber das Merkmal jeder Erkenntis überhaupt und jedes Zeichensystems.