Darüber hinaus war während des Besuches des sowjetischen Volkskommissars für Äußeres W. Molotow vom 11. bis 13. November 1940 in Berlin der deutsch-sowjetische Gegensatz überdeutlich geworden. Ursprünglich hatte man in Berlin gehofft, die Sowjetunion für den Beitritt zum Dreimächtepakt gewinnen zu können. In diesem Zusammenhang sollten die sowjetischen Interessen auf Indien und den Persischen Golf abgelenkt werden, auf ein Gebiet also, das außerhalb des Interessenbereiches der Achsenmächte lag. Doch schon in den ersten Verhandlungen zwischen Molotow und Ribbentrop hatte sich eindeutig gezeigt, daß die Erwartungen der deutschen Reichsführung an den Forderungen der Sowjetunion scheitern würden. Molotow erklärte unter anderem:

„Ich, der Vertreter der Sowjetunion, wünsche nicht, mit Vertröstungen abgespeist zu werden. Ich werde in erster Linie mit Deutschland verhandeln, weil die Forderungen, die ich zu stellen habe, in dem Gebiet liegen, in dem auch Deutschland Interessen hat: in Finnland, auf dem Balkan, in der Ostsee."

Die folgenden Verhandlungen ließen immer klarer erkennen, daß den Sowjets die Vereinbarungen des Hitler-Stalin-Paktes einschließlich des geheimen Zusatzprotokolls nicht mehr genügten, sondern den von Deutschland gewünschten Beitritt zum Dreimächtepakt von einschneidenden zusätzlichen Bedingungen abhängig machen wollten.


Deutsch-sowjetische Interessengegensätze


Im Grunde genommen beabsichtigte die Sowjetunion, die Situation des Dritten Reiches auszunutzen, um ihren Herrschaftsbereich auf den Ostsee‑ und Balkanbereich auszudehnen und eine neue Gebietsaufteilung Polens durchzusetzen. Diese Ansprüche entsprachen im Prinzip der zaristischen Expansionspolitik seit Peter dem Großen; zum damals aktuellen Zeitpunkt führten sie zu einem unüberbrückbaren Interessengegensatz mit dem Deutschen Reich. Trotzdem glaubte Stalin, daß sein Gegenspieler Hitler aufgrund der Umstände zu einem Arrangement mit der Sowjetunion gezwungen sein würde.

Nach der Abreise Molotows aus Berlin galten die deutschen Überlegungen, daß die Haltung der Sowjetunion bei Fortsetzung des Krieges in naher Zukunft zu einem unkalkulierbaren Risikofaktor werden würde, als bestätigt. Konnte der sowjetische Volkskommissar des Äußeren bereits im November 1940 als Fordernder auftreten, so würde das Dritte Reich spätestens nach dem erwarteten Kriegseintritt der USA durch Moskau erpreßbar werden. Die Zeit arbeitete mithin gegen Deutschland.

Diese Beurteilung der Lage war durchaus zutreffend. Stalin und ebensowenig Hitler dachten daran, den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt auf Dauer einzuhalten. Die Politik Stalins zielte darauf ab, eine Schwächung der gegeneinander kriegführenden kapitalistischen Mächte abzuwarten, um dann in einem für die Sowjetunion günstigen Zeitpunkt in einer Art Schiedsrichterrolle die eigenen Kräfte in die Waagschale zu werfen.

Als Ausweg aus diesem Dilemma schien ein Blitzkrieg gegen die Sowjetunion die alles entscheidende Lösung zu sein. Nach der „Zertrümmerung" Rußlands würde nach Hitlers Ansicht Deutschland im Osten entlastet. Unter Ausnutzung des sowjetischen Wirtschaftspotentials hätte die Rüstungsindustrie ihren Schwerpunkt auf den Luftwaffen- und Marinesektor legen und damit England schließlich zum Frieden zwingen können. Ein erfolgreicher Krieg gegen die Sowjetunion sollte Deutschland demnach in erster Linie blockadefest machen, zumal Japan unter dieser Voraussetzung als potentieller Gegner der USA eine enorme Aufwertung erfahren würde.

Das Ziel der deutschen Eroberungen im Osten war weit gesteckt. Man hatte daran gedacht, bis zur allgemeinen Linie Archangelsk — Wolga Astrachan vorzustoßen, um auf jeden Fall die Möglichkeit sowjetischer Luftangriffe auf das Territorium des Deutschen Reiches auszuschließen. Darüber hinaus bestand die Absicht, von der eben genannten Linie aus durch einzelne, begrenzte Panzer- und Luftwaffenangriffe die verbliebenen Industriegebiete in Mittelsibirien auszuschalten.Am 13. April 1941 unterzeichneten Japan und die Sowjetunion einen Neutralitätspakt, der nicht zuletzt wegen der Niederlage Japans 1939 an der mongolischen Grenze eingehalten wurde.