Für einen Soziologen wie M A X W E B E R, der eine differentielle Kultursoziologie nach historischen Methoden zum Ziel hatte, mußten diese Fragen wohl unvermeidbar zu einer Analyse der kulturellen Erscheinungen europäischer Kultur führen. Allerdings verstand er unter diesen kulturellen Erscheinungen nicht nur ideell motivierte, sondern auch wirtschaftliche Strukturen. Es bestand also demnach nicht nur ein Bedürfnis nach der Erklärung von Naturwissenschaft, religiösen Erscheinungen, bestimmten Kunstformen und philosophischen Richtungen (Rationalismus) und ihrer Entstehung, sondern auch die Suche nach einer Erklärung für das Erscheinen einer Wirtschaftsform wie die des Kapitalismus. Eine solche Erklärung wäre aber erst dann möglich, wenn zuerst die grundlegenden Zusammenhänge zwischen den Elementen der europäischen Gesellschaft gefunden und nach einer historischen Methode analysiert worden sind. Um es vorwegzunehmen: für

W E B E R bestand dieser Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Protestantismus.

Bevor ich aber hier auf diesen Zusammenhang eingehe, möchte ich kurz auf die zweite Frage zurück kommen und ihre Beantwortung durch das Zitat eines Ethnobiologen und Religionswissenschaftlers einleiten (Claude Levi-Strauss, Traurige Tropen):

"Die Eroberung Indiens durch die Engländer oder Indonesiens durch die Holländer sind Siege skrupelloser Geschäftsmethoden, gut organisietter Profitgier und technischer Dynamik über die statische Schwerfälligkeit und aristokratische Lässigkeit äußerst komplizierter Gesellschaftshierarchien die, viel zuviel Lebensart, Lebensfreude und Sinn für Form, Spiel und Spielregeln besaßen, um diesen so praktisch denkenden Händlern und puritanischen Rechnern aus dem Westen auf die Dauer gewachsen zu sein."

Das Abendland wird in diesem Zitat als degeneriert dagestellt und die Frage nach der Legitimität seiner Überlegenheit über andere Nationen ,als moralisch verwerflicher Imperielismus bewertet. Die degenerierte, dekadente Darstellung der europäischen Kultur kann auch nur die Abwertung ihrer speziellen kulturellen Erscheinungen bedeuten. Also:gegen Leistungsdenken, Zukunftsglauben, Rationalismus, Methodik .... und schließlich dann auch gegen Kapitalismus und Protestantismus - und warum? Weil all diese Erscheinungen europäischen Lebens die Menschen krank machen, ihnen die Lebensfreude rauben. Es ist interessant, daß eine solche Ansicht, die Frage nach der Eigenart der europäischen Kultur und iher möglichen Überlegenheit sofort moralisch auffasst und darum verneint.Warum sollte Europa nicht tatsächlich eine Überlegenheit besitzen, durch seine Fähigkeit sozioökonomische Strukturen optimal zu planen, zu organisieren und zu leiten?